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Predigt zur Sommerkirche 2021

24 »Wer diese Worte von mir hört und sie befolgt,
ist wie ein kluger Mann:
Er baute sein Haus auf felsigem Boden.
25 Dann kam ein Wolkenbruch.
Die Flüsse traten über die Ufer,
die Stürme tobten und rüttelten an dem Haus.
Doch es stürzte nicht ein,
denn es war auf felsigem Untergrund gebaut.
26 Wer diese Worte von mir hört und sie nicht befolgt,
ist wie ein dummer Mann:
Er baute sein Haus auf sandigem Boden.
27 Dann kam ein Wolkenbruch.
Die Flüsse traten über die Ufer,
die Stürme tobten und prallten gegen das Haus.
Da stürzte es ein und fiel völlig in sich zusammen.«

Liebe Radiohörerinnen und –hörer! Liebe Sommerkirchengemeinde!

Ich bekomme ein Foto auf mein Handy. Ein Mann mit schlammverschmiertem T-Shirt. Es ist mein Schwager Jörg, der seiner Mutter in Bad Neuenahr-Ahrweiler hilft aufzuräumen. Die Flut hat nicht alles, aber vieles weggespült. Ein trauriger Anblick. Und doch ist da Hilfe.
Ein Lichtblick in Trümmern. Man kann den Menschen dort nicht vorwerfen, dumm zu sein, auf Sand gebaut zu haben. Sie wohnen dort seit Jahrzehnten. All die Jahre schien es, sie hätten auf festen Fundamenten gebaut. Bis zu diesem einen Tag.

Die Tatsachen unserer Tage scheinen schlimmer zu sein als das Gleichnis vom Hausbau, das Jesus am Ende der Bergpredigt erzählt. Selbst das auf festes Fundament gebaute Haus stürzt ein. Die materiellen Schäden sind so riesig, dass Versicherungen und selbst der Staat an Grenzen kommen. Und die seelischen Belastungen?

Sie sind auch enorm. Es ist verstörend. Wie zerbrechlich unsere menschlichen Fundamente sind, erleben wir gerade in diesen Tagen. Was sicher schien, ist plötzlich nicht mehr sicher.
Es ist so traurig. Es rührt auch viele Menschen an. Vielleicht schwingt auch die Angst mit:
Es kann jeden von uns treffen. Überall. Auch hier. Die Hilfsbereitschaft ist auch riesig. Gott sei Dank! Auf was kann ich noch fest bauen?

Ich brauche doch so eine Art Grundvertrauen für mein Leben:
Dass das Haus hält, in dem mein Bett steht.
Dass die Menschen, die ich lieb habe, auch morgen noch da sind.
Dass die politischen Rahmenbedingungen, in denen ich lebe, dass die demokratische Grundordnung stabil ist.
Dass das tägliche Brot mir heute gegeben wird.
Dass sind doch fundamentale Grundlagen, auf denen unser Lebenshaus gebaut ist.
Und ich merke: So sicher ist das alles doch nicht.

Die Bilder der Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz und die Folgen für die Menschen in der Region erzählen zugleich noch eine ganz andere Geschichte. Sie erzählen vom Ende einer Lebensweise. Es ist nicht klug, so weiter zu leben wie bisher. Es ist nicht klug, sich damit beruhigen, dass das Unglück ein paar hundert Kilometer entfernt ist. Es reicht nicht, sich damit zu beruhigen, dass Aurich auf einem Geestrücken liegt und bei starken Überflutungen mit Wiesmoor als einziges Gebiet in Ostfriesland trockene Füße behält. Wir können nicht vergessen, dass in immer kürzeren Abständen Wälder brennen, extreme Hitze und Dürre herrschen, Hunger, Not und Verzweiflung an immer anderen Orten und längst überall Leben gefährden und töten.

Vor drei Tagen, am vergangenen Donnerstag, dem 29. Juli, also 5 Monate vor Jahresende, war der Weltüberlastungstag. Die Menschen haben sämtliche biologische Ressourcen aufgebraucht, die uns die Erde dieses Jahr zur Verfügung stellt. Jetzt geht es an die Substanz. Alle Fische, die gefangen werden, wachsen nicht mehr nach. Alles Kohlendioxid, was ausgestoßen wird, kann nicht mehr von Wäldern und Ozeanen gebunden werden. Es ist nicht klug, weiter zu machen wie bisher. So zerstören wir unsere eigenen Lebensgrundlagen.

Fragen wir uns:
Auf was kann ich denn noch fest bauen?
Auf welchem festen Fundament können wir leben und überleben?
Die Bildergeschichte am Ende der Bergpredigt vom Hausbau auf Sand oder auf Felsen beinhaltet ja eine Gegenüberstellung dummen und klugen Handelns.
Gucken wir auf die kluge und Mut machende Seite.

Jesus sagt:
»Wer diese Worte von mir hört und sie befolgt,
ist wie ein kluger Mann:
Er baute sein Haus auf felsigem Boden.
25 Dann kam ein Wolkenbruch.
Die Flüsse traten über die Ufer,
die Stürme tobten und rüttelten an dem Haus.
Doch es stürzte nicht ein,
denn es war auf felsigem Untergrund gebaut.

Die Bergpredigt ist eine kluge, mitreißende Rede. »Wer diese Worte von mir hört …“ Das Hören steht an erster Stelle. Wo geschieht das heute überhaupt noch? Hier im Gottesdienst. Sonst fast nirgends. Religiöse Neugier gehört dazu. Man kann nicht sagen, dass dies eine ausgeprägte Charaktereigenschaft unserer Zeit ist. Ich glaube fest, dass diese „religiöse Demenz“ unserer Gegenwart nicht gut tut. Umso besser, dass wir heute hier darüber nachdenken.

Im Blick auf die Bergpredigt will ich vier Hauptaussagen nennen, mit denen wir ein festes Fundament haben:

Felsenfest gilt und darauf kann ich mich verlassen: Wir alle sind bei Gott persönlich anerkannt. Am Anfang der Bergpredigt stehen die Seligpreisungen. Gottes besondere Nähe gilt denen, die traurig sind. Sie sollen getröstet werden. Trost können wir manchmal nicht in uns selbst finden. Das Leben kann uns so viel zumuten, so viel Schweres, persönliche Schicksalsschläge, dass das Leben schier unerträglich scheint. Dann braucht es andere Menschen, die uns halten und Worte, an die wir uns halten können, Worte, die wir uns selbst nicht sagen können, Worte, die manchmal weiter greifen als wir im Moment verstehen können. Dass da Hoffnungen und Kräfte kommen können, die uns und unserem Empfinden noch weit voraus liegen, die wir jetzt noch gar nicht ahnen. Dass Hoffnung und Leben am Ende stärker sind als die Erfahrung des Leidens und des Todes.

Das Himmelreich gehört denen, die wissen, dass sie vor Gott nicht mit ihren Leistungen punkten brauchen, sondern einfach so angenommen sind: Einfach weil du es bist. Das Himmelreich gehört denen, die andere Menschen im Blick haben, die im Schlamm mit aufräumen, die sich stark machen für die jetzt gerade Hilfe brauchen, für die Vergessenen, für die, man so leicht übersieht. Gott ist denen nahe, die barmherzig sind und denen, die Frieden stiften, denen, die sich auch beschimpfen lassen, weil sie für eine gerechte Sache sich einsetzen. Gott ist all denen nahe, die nichts zu bieten haben außer der Sehnsucht danach, dass es auf dieser Erde anders zugeht als bisher: dass alle Menschen zu ihrem Recht und zur Lebensfreude kommen. Darauf können wir uns jederzeit fest verlassen.

Eine felsenfeste Grundlage ist auch, Gottes Willen ernst zu nehmen. Dazu gehört, das Leben aller anderen zu schätzen, ihre Würde für unantastbar zu achten, nicht nur derer, die uns ohnehin nahe sind, nein, sogar derer, die uns völlig fremd sind. Das ist neu. Liebt eure Nächsten! Liebet euch selbst! Ja, aber auch dies: Liebt auch eure Feinde! Wenn er dich schlägt, halte auch die andere Backe hin. Mach nicht mit im Kreislauf ständiger Steigerung der Konflikte! Durchbrich alte Muster! Solch ein verblüffendes Handeln kann Leben völlig verändern, öffnet Türen, kann eine neue Vertrauensbasis schaffen. Gottes Willen ernst nehmen.

Beten
Himmelhochjauchzend – zu Tode betrübt:
Eine Standleitung zu Gott ist immer für mich offen. Ich brauche nicht viele, noch nicht mal eigene Worte: So sollt ihr beten, sagt Jesus: „Vater unser im Himmel.“
Damit ist schon alles gesagt. Klagen, danken, loben, bitten –
„Mein Gott, warum hast du mich verlassen“;
„Dein Wille geschehe.“;
„Vergib uns unsere Schuld.“;
„Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen…“;
Alle Facetten des Lebens haben Platz im Gebet. Oder einfach in der Stille Gott das Leben hinhalten – niemand kann uns das in unserem Leben nehmen. Es kann Zeiten geben, da ist genau dies, beten zu können, Menschen der einzige Trost.

Felsenfest gilt auch: Es ist genug für alle da! Seht euch die Vögel an! Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln keine Vorräte in Scheunen. Trotzdem ernährt sie euer Vater im Himmel. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? Nachhaltig leben, die Güter gerecht verteilen – die Erde gibt genug für alle her. Der Schöpfer hat das wunderbar eingerichtet. Nur wir selbst können das Gleichgewicht stören, wenn wir mehr wollen als das tägliche Brot. Das alles kann durch ein ganzes Leben tragen, durch Stürme, Wolkenbrüche und Fluten. Ein festes Fundament.

Manchmal wird dieser Grund trotzdem wanken. Glaube an Gott heißt nicht, dass man nie an Grenzen kommt oder dass man alles mit Leichtigkeit schafft. Das ist bei mir nicht so und bei Euch sicher auch nicht. Aber der Glaube an Gott ist wie ein Zuhause, ein festes Haus mit starkem Fundament, wo ich an glücklichen Tagen meinen Dank ausspreche und singe, wo ich in stürmischen Zeiten einkehre und klage und flehe und Kraft suche für meine Seele. Da ist er für uns da. Darauf können wir bauen. Felsenfest.

Amen.

Predigt zu Neujahr 2021

Zu Beginn seiner Wirksamkeit kommt Jesus auch in seinen Heimatort Nazareth. Heute am Neujahrstag hören wir aus dem Kapitel des Lukasevangeliums, was dort geschah.

Jesus kam auch nach Nazareth, wo er aufgewachsen war. Am Sabbat ging er wie gewohnt in die Synagoge. Er stand auf, um aus den Heiligen Schriften vorzulesen. Man reichte ihm die Schriftrolle mit dem Propheten Jesaja. Jesus rollte sie auf und fand die Stelle, wo geschrieben steht:

»Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Das ist mein Auftrag: Den Armen soll ich die Gute Nachricht bringen. Den Gefangenen soll ich ankündigen, dass sie frei werden, und den Blinden, dass sie sehen werden. Den Unterdrückten soll ich die Freiheit bringen. Ich soll verkünden: Jetzt beginnt das Jahr, in dem der Herr Gnade schenkt.«

Jesus schloss die Schriftrolle wieder, gab sie dem Synagogendiener zurück und setzte sich.
Alle Augen in der Synagoge waren gespannt auf ihn gerichtet. Da sagte er zu den Anwesenden: »Heute – in eurer Gegenwart – ist dieses Schriftwort in Erfüllung gegangen.«
Alle spendeten ihm Beifall. Sie staunten über die Botschaft von der Gnade, die er verkündete.

Liebe Gemeinde hier in der Lamberti-Kirche! Liebe Radiohörerinnen und –hörer!

2021 – offen und unbeschrieben liegt dieses Jahr heute vor uns. Ich möchte gerne neugierig hineinhorchen: Was mag es uns bringen?

Im Persönlichen: Bleiben wir gesund? Werden wir einander am Jahresende noch haben dürfen? Wie geht es mit meiner Arbeit? Wie wird es den Kindern ergehen? Kann ich alleine in meiner Wohnung bleiben? Oder muss ich in ein Heim? Meine Pläne – werde ich sie in die Tat umsetzen können? Und im Großen: Wie geht in unserem Land weiter? Und mit den Konflikten in der Welt? Mit Not und Armut?

„Jetzt beginnt das Jahr, in dem der Herr Gnade schenkt.“, sagt Jesus bei Lukas.

2021 – ein Gnadenjahr. Für uns. Was für eine Vision. Kein Seuchenjahr. Ein Gnadenjahr. Heute – am 1. Januar – dieses Wort von Jesus. Es ist seine Antrittspredigt in seiner Heimatsynagoge in Nazareth. In diesen Worten verdichtet sich sein Weg: Wofür er steht – wozu er kommt. Sein Programm. Mit ihm beginnt eine neue Zeit. „Heute“ sagt Jesus bei Lukas. Heute – das kommt bei ihm immer wieder vor.

„Euch ist heute der Heiland geboren. Heute ist deinem Haus Heil widerfahren“, sagt er zum Zöllner Zachäus. Und noch im Sterben sagt Jesus am Kreuz zu einem Verbrecher: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“

Heute erfüllt sich hier Gottes Verheißung. Das klingt verrückt. Kompromisslos. Atemberaubend modern. Gnade ist das Wort dieses Jahres. Aber wo erfüllt sich was? So viel ist doch aus dem Lot. Bei vielen. Das innere Gleichgewicht. Die Haut ist dünn. Angst greift seuchenhaft um sich. Warten wir nicht heute immer noch genauso auf bessere Zeiten wie zu Jesajas Zeiten, wie zu Jesu Zeit, wie zu allen Zeiten? Wo ist das Gnadenjahr?

Jesus sagt es unbeirrt. Heute erfüllt sich das. In mir. Mit mir ist es da. Die Armen, die, die Trost suchen, die Mut brauchen, die eine Perspektive für sich suchen, die ängstlich sind:
ihr sollt hören, ihr sollt sehen:
Heute ist hier der Anfang von etwas ganz Großem, etwas ganz Neuem. Nein, mit Jesus hat sich die Welt nicht von einer Stunde auf die andere schlagartig verändert. Aber eine andere Sicht wird möglich. Seine Worte verändern Menschen. Sie beflügeln den Glauben: es kann wirklich gut werden. Und in der Tat: Wir erleben es doch gerade:

Wir nehmen Rücksicht. Wir schützen uns und andere. Wir schulen unser Einfühlungsvermögen. Gemeinsam können wir eine Riesenaufgabe bewältigen. Diese Herausforderung betrifft uns alle. Alle Welt sogar. Nur miteinander können Heil und Frieden und Gerechtigkeit und Gesundheit sich durchsetzen. So viele engagieren sich heute für Kranke, für Alte, bleiben bei Sterbenden. Teilen Zeit. Teilen Geld. So viele helfen bescheiden und unspektakulär, für die Jesu Worte Programm sind. Viele Menschen lassen sich auch heute von Jesu Worten verändern. Sie hören nicht auf daran zu glauben, dass es eine andere Sprache gibt als Gewalt und Egoismus und das Recht des Stärkeren.

Ich habe in den Tagen vor Weihnachten mit den Ehrenamtlichen der Auricher Tafel Gottesdienste in vier Kirchen, in Victorbur, in Mittegroßefehn, in Marx und hier in
der Lamberti-Kirche gefeiert. Es sind fast 200 Mitarbeitende, die Woche für Woche
für über 1000 Tafelkunden in vier Regionen Lebensmittel bereitstellen. Da erfüllt sich heute das Programm Jesu.

Die, die es jetzt gerade brauchen, werden gesehen und bekommen, was sie gerade jetzt
brauchen. Da, wo Menschen einander sehen und sich einander annehmen, wo Kranken geholfen wird, Menschen in Not wahrgenommen werden, wir für sie beten und sie mit unserer Zeit und unserem Geld öffentlich unterstützen, da erfüllt sich heute Jesu Geist und Programm. Wir sind diejenigen, die es heute hier hören. Wir wollen dafür sorgen, dass dieses Wort 2021 nicht in Vergessenheit gerät.

Ich bin überzeugt:
Hier in Aurich und überall gibt es Menschen, die fest glauben, dass unser Alltag durch Gottes Geist verändert werden wird. Es braucht hier Menschen, die davon ein klares Bild vor Augen haben, wie Gottes Welt hier aussehen soll. Es braucht uns! Es braucht Menschen, die laut von ihrem Glauben erzählen, damit Gott nicht in Vergessenheit gerät.
Es braucht Menschen, die vom tragenden Grund in ihrem Leben erzählen, der auch Zweifel erträgt. Die die Lust verspüren, für etwas Gutes zu kämpfen. Es braucht uns!

2021 – „Jetzt beginnt das Jahr, in dem der Herr Gnade schenkt.“
Es ist das Erste, was wir hier in Lamberti hören. Es ist das Beste, was wir hören können. Gottes Gnade geht mit uns. Das wollen wir im Herzen bei uns tragen. Das wollen wir weitersagen an unsere Lieben, an unsere Nächsten, an die, die es so brauchen, an die, die es gar nicht glauben können. An die, die einsam sind, an die, die arm dran sind. An die, die verblendet sind in Verschwörungstheorien. An die, die alle Freude verloren haben. Mag sein, wir sind verrückt, das zu glauben. Ich staune wie die Menschen am Ende in Nazareth, die Jesus hören. Für mich haben diese Worte Jesu heute eine enorme Kraft. Jetzt beginnt für Dich das Jahr, in dem der Herr Dir Gnade schenkt.

Dieses Jahr wird uns alle wieder vor große Herausforderungen stellen. Wir gehen von guten Mächten wunderbar behütet und getröstet in dieses neue Jahr. Das macht uns stark.

Amen.

Predigt an Heiligabend

Liebe Radiohörerinnen und –hörer! Liebe Hausgemeinden! Liebe Gemeinde am Heiligen Abend!

Weihnachten dieses Jahr, das ist eine schwere Geburt. Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von der Regierung ausging, dass alle Menschen daheim bleiben sollten. Und jedermann blieb daheim, ein jeder in seiner Stadt. So machte es auch Josef in Stadt A., und er blieb daheim mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie daheim waren kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und die beiden hatten sich zu einer Hausgeburt entschlossen. Die Krankenhäuser waren ohnehin überfüllt. Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln, von denen sie zur richtigen Zeit einen gehörigen Vorrat gekauft hatte…

So fängt Axel Hacke an, dieses Jahr die Weihnachtsgeschichte zu erzählen. In diesem merkwürdigen Jahr ist so vieles anders. Wie gefährlich kann uns dieses Weihnachten werden? Vor einem Jahr hätten wir diese Frage für verrückt gehalten. Wer darf kommen? „Ihr Kinderlein, kommet“ – Eltern großer Kinder können selbst das nicht unbeschwert sagen. Und wie viele dürfen kommen? Wer bleibt besser gleich daheim? Am Telefon sagt die Tochter: „Wir kommen nicht. Schweren Herzens sagen wir ab.“ Das schmerzt die Seele.
Weihnachtsstuben sind längst nicht so voll wie sonst. Wir halten liebevoll Abstand: Aber Herzen bleiben ungedrückt. Sehnsucht nach Nähe bleibt unerfüllt. Die Haut ist dünner und die Seele empfindlicher als in anderen Jahren. Dieses Weihnachten ist auch viel leiser als sonst. Keine Trompeten & Posaunen. Kein gemeinsames Singen.

Heilige Nacht, stille Nacht. So still haben wir uns das nicht gedacht. Als die drei Weisen mit ihren kostbaren Geschenken Gold, Weihrauch und Myrrhe von ihrer weiten Reise aus dem Morgenland endlich zum Stall kommen, schaut der Esel raus und sagt: „Tut uns leid, ihr könnt nicht reinkommen. Wir sind schon fünf: Ochse, Esel, Maria, Josef und das Kind. Mehr geht nicht.“ – Weihnachten dieses Jahr, das ist eine schwere Geburt.

Allerdings: In Bethlehem vor 2000 Jahren ist es auch nicht kuschelig. Maria und Josef – müssen gucken, was geht. Sie haben noch nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Beherbergungsverbot. Sie müssen improvisieren. Das tun sie beherzt. Ein Stall ist keine ideale Entbindungsstation. Hier stinkt’s. Wind pfeift durch die Ritzen. Kein Bett. Kein Licht. Keine Heizung. Kein heimeliger Ort. Da wird in dunkler Zeit ein Kind geboren. Aber: Wir erzählen uns noch heute davon.

Weihnachten 2020 – wir feiern es dennoch.

Ich bin sicher: Davon werden wir auch noch viele Jahre erzählen. Die Ersten, die die Heilige Nacht erleben, sind die Hirten. Nachtarbeiter sind sie, und ihre Nächte sind wirklich unklar und dunkel. Zu ihrem Leben gehört, es so zu nehmen, wie es kommt. Von einem Moment auf den anderen hellt sich in dieser Nacht ihr dunkler Alltag auf. Plötzlich passieren wunder-volle Dinge.

„Und des Herrn Engel tat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie. Was man nicht kennt, jagt einem Angst erstmal ein: Und sie fürchteten sich. Sehr.“

Diese eigentlich unerschrockenen Burschen: Fürchten sich. Sehr. Es hat einen tiefen Grund, dass sich in dieser Nacht gerade über denen der Himmel öffnet, die in Dunkelheit leben. Diese Nacht wird besonders für die Menschen heilig, die mit schwierigen Umständen zurechtkommen müssen. Mit Angst. Mit Leid. Mit Verlieren und Traurigsein. Der Himmel ist denen offen, denen Angst und Sorge in die Knochen kriechen. In den letzten Monaten müssen wir begreifen, wie verletzlich Leben und Gesundheit sind. Wir alle hier und in aller Welt sind gemeinsam betroffen. Wir können nicht damit rechnen, von allem verschont zu bleiben. Das Fürchten der Hirten können wir dieses Jahr viel intensiver nachempfinden. Wie gut, dass es die Hl. Nacht gibt. Jedes Jahr wieder. Aber doch immer anders.

Jetzt kommt sie genau richtig. Man möchte es heute laut heraustrompeten: „Gott, deine Klarheit soll heute auch in unseren Alltag hineinleuchten! Und lass unser Herz diese Worte heute genauso hören und erreichen wie die Hirten: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude. Heute. Und sie soll allem Volk widerfahren. Euch ist der Heiland geboren. Heute.“ Da beginnt die Nacht heilig zu werden. Ein Mensch. Ein Gotteskind im Stall. Gott ist mit einem mal ganz nahe. Sichtbar. Greifbar. Verletzlich.
Himmel und Erde berühren sich.

Und die Hirten? Sie sagen: „Das will ich sehen. Das muss ich mit meinen eigenen Augen sehen.“ Faktencheck. Kommt! Schnell! Eilend! Wenn das stimmt… Diese Worte laufen rund in ihren Köpfen: „…große Freude, euch… heute… geboren…“ „Da – liegt es das Kindlein auf Heu und auf Stroh. Maria und Josef betrachten es froh. Die redlichen Hirten…“ – sind die Ersten am Stall. Sie sehen und staunen still und stumm. Große Freude… Heiland. Heute geboren. Uns. Stille Nacht, Heilige Nacht. „Die Hirten haben es gut“, denke ich leicht neidisch. Alles so klar. Nein, ich möchte nicht das ganze Leben mit ihnen tauschen. Aber: diesen Moment: Ein offener Himmel und diese Klarheit des Herrn. Ich empfinde mein Leben eher als ein Suchen.  Wie gehe ich mit der neuen Herausforderung um, mit der ich nicht gerechnet habe? Kann ich dem Glück vertrauen, das es ja auch gibt? Wie bewältige ich das Schwere, das ungefragt in mein Leben eindringt? Die Hirten: Sie sehen: Licht. Sie sehen: Das Kind. Sie hören: „Fürchte euch nicht!“ Der Heiland. Geboren. Euch. Heute. Gott ist uns ganz nah. Jetzt. Das ist genug, um loszugehen, ins Unbekannte, ins Leben. Diese drei kleinen Worte: Fürchtet euch nicht! Und ich wünsche mir, dass da immer jemand ist, der mir, wenn ich es brauche, sagt: „Fürchte dich nicht!“ Und dass ich, wenn jemand es braucht, da bin und es ihm oder ihr sage: „Fürchte dich nicht!“ Ich hoffe, dass es immer wieder Menschen einander sagen: „Du bist nicht allein. Fürchte dich nicht!“

Das Kind in der Krippe wird später auf seinem Weg immer wieder Menschen diese drei Worte sagen. Nicht unbedingt genauso. Es kann auch so klingen: „Selig sind, die da Leid tragen. Ihr sollt getröstet werden.“ Und er muss es sich sicher selbst auch oft sagen, denn er geht dem Leid nicht aus dem Weg. Das sehen wir ja hier am Altar. Auf jeden Fall weiß er, wovon er spricht. „Fürchte dich nicht!“ – Weihnachten in drei Worten! An der Krippe geht’s los, das Leiden am Kreuz, und dann wieder eine heilige Nacht, eine Osternacht. Am Ende muss sogar der dunkle Tod beiseitetreten. Das Krippenkind lebt. Und wir sollen auch leben. Heute sagen wir es deshalb auch besonders unseren Älteren und den Kranken und denen, die sich einsam fühlen: „Fürchtet euch nicht! Euch ist heute der Heiland geboren. Gott ist heute nahe.“

Und wir sagen es all denen, die gerade jemanden verloren haben und die Existenznot kennen. Wir sagen es heute denen, die sich um einen Menschen sorgen, helfen möchten und es nicht können. Wir sagen es heute denen, die bis zur Erschöpfung Menschen versorgen, die um ihr Leben ringen: „Durch Euch leuchtet Licht da, wo es traurig und im Herzen dunkel ist.“ Wir sagen es denen, die Angst vor der Zukunft haben: Fürchtet euch nicht! In der Krippe liegt Gottes Liebe zu allen Menschen – zum Greifen nah. Lasst uns im Geist dieses Kindes zusammen in dieser Zeit wirken. So werden wir es miteinander schaffen.

Und nächstes Jahr wollen wir uns wieder hier treffen, hoffentlich viel näher beieinander, und wieder uns diese Worte sagen lassen. Dann wissen wir, dass wir zusammen auch Krisen meistern können. Fürchte euch nicht. Euch ist heute der Heiland geboren.

Amen.