Liebe Radiohörerinnen und –hörer! Liebe Hausgemeinden! Liebe Gemeinde am Heiligen Abend!
Weihnachten dieses Jahr, das ist eine schwere Geburt. Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von der Regierung ausging, dass alle Menschen daheim bleiben sollten. Und jedermann blieb daheim, ein jeder in seiner Stadt. So machte es auch Josef in Stadt A., und er blieb daheim mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie daheim waren kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und die beiden hatten sich zu einer Hausgeburt entschlossen. Die Krankenhäuser waren ohnehin überfüllt. Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln, von denen sie zur richtigen Zeit einen gehörigen Vorrat gekauft hatte…
So fängt Axel Hacke an, dieses Jahr die Weihnachtsgeschichte zu erzählen. In diesem merkwürdigen Jahr ist so vieles anders. Wie gefährlich kann uns dieses Weihnachten werden? Vor einem Jahr hätten wir diese Frage für verrückt gehalten. Wer darf kommen? „Ihr Kinderlein, kommet“ – Eltern großer Kinder können selbst das nicht unbeschwert sagen. Und wie viele dürfen kommen? Wer bleibt besser gleich daheim? Am Telefon sagt die Tochter: „Wir kommen nicht. Schweren Herzens sagen wir ab.“ Das schmerzt die Seele.
Weihnachtsstuben sind längst nicht so voll wie sonst. Wir halten liebevoll Abstand: Aber Herzen bleiben ungedrückt. Sehnsucht nach Nähe bleibt unerfüllt. Die Haut ist dünner und die Seele empfindlicher als in anderen Jahren. Dieses Weihnachten ist auch viel leiser als sonst. Keine Trompeten & Posaunen. Kein gemeinsames Singen.
Heilige Nacht, stille Nacht. So still haben wir uns das nicht gedacht. Als die drei Weisen mit ihren kostbaren Geschenken Gold, Weihrauch und Myrrhe von ihrer weiten Reise aus dem Morgenland endlich zum Stall kommen, schaut der Esel raus und sagt: „Tut uns leid, ihr könnt nicht reinkommen. Wir sind schon fünf: Ochse, Esel, Maria, Josef und das Kind. Mehr geht nicht.“ – Weihnachten dieses Jahr, das ist eine schwere Geburt.
Allerdings: In Bethlehem vor 2000 Jahren ist es auch nicht kuschelig. Maria und Josef – müssen gucken, was geht. Sie haben noch nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Beherbergungsverbot. Sie müssen improvisieren. Das tun sie beherzt. Ein Stall ist keine ideale Entbindungsstation. Hier stinkt’s. Wind pfeift durch die Ritzen. Kein Bett. Kein Licht. Keine Heizung. Kein heimeliger Ort. Da wird in dunkler Zeit ein Kind geboren. Aber: Wir erzählen uns noch heute davon.
Weihnachten 2020 – wir feiern es dennoch.
Ich bin sicher: Davon werden wir auch noch viele Jahre erzählen. Die Ersten, die die Heilige Nacht erleben, sind die Hirten. Nachtarbeiter sind sie, und ihre Nächte sind wirklich unklar und dunkel. Zu ihrem Leben gehört, es so zu nehmen, wie es kommt. Von einem Moment auf den anderen hellt sich in dieser Nacht ihr dunkler Alltag auf. Plötzlich passieren wunder-volle Dinge.
„Und des Herrn Engel tat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie. Was man nicht kennt, jagt einem Angst erstmal ein: Und sie fürchteten sich. Sehr.“
Diese eigentlich unerschrockenen Burschen: Fürchten sich. Sehr. Es hat einen tiefen Grund, dass sich in dieser Nacht gerade über denen der Himmel öffnet, die in Dunkelheit leben. Diese Nacht wird besonders für die Menschen heilig, die mit schwierigen Umständen zurechtkommen müssen. Mit Angst. Mit Leid. Mit Verlieren und Traurigsein. Der Himmel ist denen offen, denen Angst und Sorge in die Knochen kriechen. In den letzten Monaten müssen wir begreifen, wie verletzlich Leben und Gesundheit sind. Wir alle hier und in aller Welt sind gemeinsam betroffen. Wir können nicht damit rechnen, von allem verschont zu bleiben. Das Fürchten der Hirten können wir dieses Jahr viel intensiver nachempfinden. Wie gut, dass es die Hl. Nacht gibt. Jedes Jahr wieder. Aber doch immer anders.
Jetzt kommt sie genau richtig. Man möchte es heute laut heraustrompeten: „Gott, deine Klarheit soll heute auch in unseren Alltag hineinleuchten! Und lass unser Herz diese Worte heute genauso hören und erreichen wie die Hirten: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude. Heute. Und sie soll allem Volk widerfahren. Euch ist der Heiland geboren. Heute.“ Da beginnt die Nacht heilig zu werden. Ein Mensch. Ein Gotteskind im Stall. Gott ist mit einem mal ganz nahe. Sichtbar. Greifbar. Verletzlich.
Himmel und Erde berühren sich.
Und die Hirten? Sie sagen: „Das will ich sehen. Das muss ich mit meinen eigenen Augen sehen.“ Faktencheck. Kommt! Schnell! Eilend! Wenn das stimmt… Diese Worte laufen rund in ihren Köpfen: „…große Freude, euch… heute… geboren…“ „Da – liegt es das Kindlein auf Heu und auf Stroh. Maria und Josef betrachten es froh. Die redlichen Hirten…“ – sind die Ersten am Stall. Sie sehen und staunen still und stumm. Große Freude… Heiland. Heute geboren. Uns. Stille Nacht, Heilige Nacht. „Die Hirten haben es gut“, denke ich leicht neidisch. Alles so klar. Nein, ich möchte nicht das ganze Leben mit ihnen tauschen. Aber: diesen Moment: Ein offener Himmel und diese Klarheit des Herrn. Ich empfinde mein Leben eher als ein Suchen. Wie gehe ich mit der neuen Herausforderung um, mit der ich nicht gerechnet habe? Kann ich dem Glück vertrauen, das es ja auch gibt? Wie bewältige ich das Schwere, das ungefragt in mein Leben eindringt? Die Hirten: Sie sehen: Licht. Sie sehen: Das Kind. Sie hören: „Fürchte euch nicht!“ Der Heiland. Geboren. Euch. Heute. Gott ist uns ganz nah. Jetzt. Das ist genug, um loszugehen, ins Unbekannte, ins Leben. Diese drei kleinen Worte: Fürchtet euch nicht! Und ich wünsche mir, dass da immer jemand ist, der mir, wenn ich es brauche, sagt: „Fürchte dich nicht!“ Und dass ich, wenn jemand es braucht, da bin und es ihm oder ihr sage: „Fürchte dich nicht!“ Ich hoffe, dass es immer wieder Menschen einander sagen: „Du bist nicht allein. Fürchte dich nicht!“
Das Kind in der Krippe wird später auf seinem Weg immer wieder Menschen diese drei Worte sagen. Nicht unbedingt genauso. Es kann auch so klingen: „Selig sind, die da Leid tragen. Ihr sollt getröstet werden.“ Und er muss es sich sicher selbst auch oft sagen, denn er geht dem Leid nicht aus dem Weg. Das sehen wir ja hier am Altar. Auf jeden Fall weiß er, wovon er spricht. „Fürchte dich nicht!“ – Weihnachten in drei Worten! An der Krippe geht’s los, das Leiden am Kreuz, und dann wieder eine heilige Nacht, eine Osternacht. Am Ende muss sogar der dunkle Tod beiseitetreten. Das Krippenkind lebt. Und wir sollen auch leben. Heute sagen wir es deshalb auch besonders unseren Älteren und den Kranken und denen, die sich einsam fühlen: „Fürchtet euch nicht! Euch ist heute der Heiland geboren. Gott ist heute nahe.“
Und wir sagen es all denen, die gerade jemanden verloren haben und die Existenznot kennen. Wir sagen es heute denen, die sich um einen Menschen sorgen, helfen möchten und es nicht können. Wir sagen es heute denen, die bis zur Erschöpfung Menschen versorgen, die um ihr Leben ringen: „Durch Euch leuchtet Licht da, wo es traurig und im Herzen dunkel ist.“ Wir sagen es denen, die Angst vor der Zukunft haben: Fürchtet euch nicht! In der Krippe liegt Gottes Liebe zu allen Menschen – zum Greifen nah. Lasst uns im Geist dieses Kindes zusammen in dieser Zeit wirken. So werden wir es miteinander schaffen.
Und nächstes Jahr wollen wir uns wieder hier treffen, hoffentlich viel näher beieinander, und wieder uns diese Worte sagen lassen. Dann wissen wir, dass wir zusammen auch Krisen meistern können. Fürchte euch nicht. Euch ist heute der Heiland geboren.
Amen.