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Ansprache am 30. Januar 2024 Auricher Marktplatz Demo gegen Rechtsradikalismus – Superintendent Tido Janssen

Liebe Mitdemonstrierende!
„Ich habe Angst!“ – das sagte vor ein paar Tagen einer, der ehrenamtlich bei uns mitarbeitet. Und plötzlich wurde es in der Runde ganz still. Er erzählt von seinem Sohn. Er lebt nicht so weit von hier. Er hat eine jüdische Frau und zwei jüdische Töchter. Diese Familie lebt in Angst. Die Gespräche hinter vorgehaltener Hand. Der Schulweg. Der Besuch in der Synagoge. Alles mit Angst. Gespenstisch! –
Ich demonstriere hier mit, weil ich nicht will, dass irgend-jemand Angst haben muss. Das Angstgespenst muss weg.
Es ist vielleicht der schönste Satz in deutscher Sprache: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Es ist ein Satz gegen die Angst. Von Anfang an soll klar sein: Schön, dass es dich gibt. Schön, dass wir einander haben. Wir sind bunt. Wir sind viele. Und das ist gut so. Wir tragen alle einen Kern in uns, der ist so kostbar, ja, ich finde sogar heilig: Niemand, niemand darf ihn antasten.
Diese Würde ist uns allen von Geburt an als Geschenk mit in die Wiege gelegt. Egal, wie Du aussiehst. Egal, welche Hautfarbe. Egal, wo du herkommst. Egal, welche sexuelle Orientierung du hast. Egal, welche Religion. Egal, ob mit Handicap oder ohne. Die Herabwürdigung anderer Menschen darf keine Alternative für unser Land sein.
Wo das geschieht, stehen wir auf und stehen wir zusammen.
Zusammen für etwas einstehen:
Eine der überwältigendsten Erfahrungen habe ich hierzu 1989 gemacht. Da hatte ich das Glück, auf dem Höhepunkt der Montags-Demonstrationen in Leipzig zu sein. Eine Woche vorher war die Berliner Mauer geöffnet worden. Nicht nur eine Stadt, eine ganze Region ging über den Leipziger Ring und demonstrierte für Demokratie und Freiheit. Zehntausende Menschen. Sie alle riefen lauthals: „Keine Angst!“ Alle hatten Angst. Niemand wusste, ob die Nationale Volksarmee nicht doch noch schießt. Aber die vielen Menschen und ihre Entschlossenheit: Sie waren selbst wie eine menschliche Mauer gegen die Angst.
Wir demonstrieren hier heute nicht, weil wir ein neues politisches System fordern. Wir stehen hier zusammen, weil wir unsere demokratische Freiheit lieben und behalten wollen.
Nur zu demonstrieren, genügt jetzt aber auch nicht. Unsere Demokratie braucht uns alle. Wir dürfen wählen. Wir müssen es jetzt auch tun. 1972 haben 91,1% aller Wahlberechtigten an der Bundestagswahl teilgenommen. Bei der letzten Kommunal- und Landtagswahl 2021 und 2022 lag im Landkreis Aurich die Wahlbeteiligung bei nur noch 58 %. D.h. fast jeder Zweite hat gar nicht gewählt. Das können wir uns nicht mehr erlauben. Nirgends können wir Rechtsradikalismus leichter bekämpfen als an der Wahlurne. Jetzt nicht gleichgültig bleiben, aufstehen, wählen und braunes Gedankengut in Grund und Boden wählen – das ist unsere Alternative für Deutschland. Im Juni ist Europawahl. Da können wir schon mal anfangen.
Und liebe Politiker*innen ganz besonders auf Bundesebene! Stärkt uns hier den Rücken!
Bitte macht eine Politik, die gerecht ist, die denen hilft, die wirklich Hilfe brauchen, die Frieden schafft und erhält und die auch allen kommenden Generationen ermöglicht, diese Erde schön zu finden.
Und dann, wir alle:
Wenn jemand Hassparolen im Netz postet: Sag nein! Dann, wenn jemand unsere Demokratie verächtlich macht: Sag nein!
Dann, wenn jemand den Holocaust für einen Vogelschiss hält: Sag nein!
Dann, wenn jemand von der Wegführung in Deutschland lebender Menschen spricht: Sag nein!
Sag nein am Arbeitsplatz, im Freundeskreis, egal wo.
Und dann sehe ich hier in Aurich und umzu junge Menschen in Hilfsorganisationen, in Umweltbewegungen, in den Kirchen, in Parteien und anderen Vereinen.
Die sagen JA! Die sagen „Ja!“ zur Akzeptanz verschiedener Lebensweisen. Die machen sich stark für einen bunten, vielfältigen, menschenfreundlichen Umgang hier in unserer Stadt und auf dem Land.
Ja, das macht doch Mut.
Und viele andere gute Initiativen gibt es hier.
Ja, das macht doch Mut.
Und dass wir alle hier zusammenstehen für würdigen Umgang miteinander: Ja! Das tut uns doch selbst gut.
Keine Angst! Zusammen sind wir stark!