Hans Küng ist tot. Am 6. April starb er im Alter von 93 Jahren. Ich verehre ihn als einen meiner akademischen Lehrer an der Universität in Tübingen. Ich studierte Evangelische Theologie. Er war katholischer Reformtheologe. Das war der Reiz. Der Geist setzt keine Grenzen. Hans Küng suchte den Dialog mit Protestanten, Orthodoxen, Juden, Buddhisten, dem Islam und denen, die mit Religion wenig anfangen können. Theologie mit ihm war ein unerhört spannendes Unternehmen. Natürlich spielte auch eine Rolle, dass er unerschrocken Widerstand leistete und dem Papst die Unfehlbarkeit offen bestritt. Das kostete ihn seinen Lehrstuhl. Aber die Tübinger Universität war schlau genug, ihm einen eigenen Lehrstuhl für Ökumenische Theologie einzurichten.
Er war ein brillanter Redner, leidenschaftlicher Forscher, humorvoll mit seinem Schweizer Akzent, unbeeindruckt von hohen Hierarchien, Streiter für ein Christentum über Konfessionsgrenzen hinweg. „Ecclesia semper reformanda“ – immer ist die Kirche zu reformieren – Hans Küng hat sich nie gescheut, sich diesen Leitspruch der Reformation zu eigen zu machen. Er fragte direkt: „Ist die Kirche noch zu retten?“ Seine Antwort war klar: Ja, trotz allem, wenn in der Kirche die Botschaft Jesu gelebt wird. Dann würde die Kirche vielleicht wieder als Gewissen der Nation ernst genommen, als prophetische Stimme gegen moralische Verfallserscheinungen und als Instanz der Orientierung ohne Verfallsdatum. Eine seiner Hauptthesen war: Es gibt keinen Weltfrieden ohne Religionsfrieden. Den Einfluss der Religionen politisch zu unterschätzen wäre ein schwerer Fehler. Gerade aus europäischer Perspektive mit seiner weit fortgeschrittenen Abwendung von Kirche und Glauben könnte man diesem Irrtum leicht verfallen. In anderen Weltgegenden wie dem Nahen Osten, Asien und Afrika sieht das aber völlig anders aus. Hans Küng arbeitete heraus, dass alle großen Weltreligionen in ihren sittlichen Wertvorstellungen über eine zentrale Gemeinsamkeit verfügen.
Dieser innere Kern heißt: Frieden. Frieden in der Welt wird es ohne den Beitrag der Religionen zu einem Weltethos des Friedens nicht geben können. Das legt den Religionen eine hohe Verantwortung auf, zumal Extremisten und Fundamentalisten Religion immer wieder missbrauchen und vermeintlich im Namen Gottes Terror und Kriege rechtfertigen.
Um dies sachgemäß herauszuarbeiten, braucht es einen Schlüssel. Dieser Schlüssel ist ein aufgeklärter Glaube. Mit allen Maßstäben der Vernunft und der Wissenschaft braucht es Fragen und Zweifeln. An dessen Ende steht für Küng „vernünftiges Vertrauen“. Nicht „etwas glauben“, nicht „jemandem glauben“, sondern „an jemanden glauben“, nämlich an Jesus Christus, das meint „Ich glaube“. Wer Lust verspürt, das christliche Glaubensbekenntnis mit „vernünftigem Vertrauen“ zu durchdenken, kann sich mit Hans Küng auf diesen Weg machen. Sein Buch „Credo“ ist allgemeinverständlich geschrieben und eine lustvolle Lektüre.
Am Ende seines Lebens war Hans Küng schwer von Krankheit gezeichnet. Das Sprechen fiel dem wortgewandten Lehrer schwer. Klar und deutlich aber sprach er zuletzt von Anfang bis zum Ende das Vaterunser mit. Und dann starb er. Aus einem Mittagsschlaf am 6. April ist er nicht mehr erwacht. Ein sanftes Sterben. Mir und vielen anderen bleibt ein Mensch in Erinnerung, der der Kirche kritisch den Spiegel vorhielt und ihr in allen Anfechtungen die Treue hielt.