Ich war im Urlaub. Genauer: im hohen Norden von Dänemark. Und da habe ich auf einem Spaziergang diese filigranen Blüten entdeckt.
Ihr merkt schon: dieses Mal geht es nur bedingt ums Hören.
Die Blumen heißen zwar Glockenblumen, aber sie läuten natürlich nicht. Vielleicht würde man bei ihnen noch ein zartes Klirren vermuten, aber auch das tun sie nicht.
Warum habe ich sie dann fotografiert?
Das hat etwas mit dem Ort zu tun, an dem ich sie gefunden habe.
Sie standen nur wenig geschützt von einer Sanddüne direkt an der Nordsee, und der Wind brauste erst über die Düne und dann über sie hinweg.
Und doch standen sie da, mit ihren filigranen Blüten an noch feineren Stängeln, und hielten dem Wind stand.
Nein. Das stimmt nicht. Sie hielten ihm nicht stand. Sie leisteten gar keinen Widerstand, son-dern bewegten sich einfach im Wind.
Sie wogten in ihm. Hin und her und ohne Schaden zu nehmen. Und gerade das konnten sie nur, weil ihre Stängel und Blüten so fein und filigran waren.
Damit sind wir nun doch wieder beim Hören: fein und filigran ist nämlich alles, was sich hin-ter unseren Ohrmuscheln befindet.
Fein und filigran ist bei vielen Schwerhörigen auch das Seelenkostüm.
Gerade das als Stärke zu entdecken, haben mich die Glockenblumen hinter der Düne am Meer gelehrt:
Ich will – wie sie – im Brausen meiner Schwerhörigkeit wogen. Hin und her. Und ohne weite-ren Schaden zu nehmen.
Und wer weiß: vielleicht höre ich dabei sogar ein zartes, glockenreines Klirren, weil in meiner Seele ein freudiger Ton angeschlagen wird.
Beate Gärtner, Beauftragte der Schwerhörigenseelsorge der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers