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Watt

Ende Juni ging ich mit meinen Konfirmanden zum Watt. Nicht an´s. Sondern in’s. Vor uns geht eine Gruppe nach altbekannter Art: die Hosen hochgekrempelt, tunlichst darauf bedacht, nur ja keine Spritzer auf die ansonsten saubere Kleidung abzubekommen. Wir ziehen besser gleich Badesachen an. Und noch ein paar Beachies, wegen der australischen Auster. Sicher ist sicher. Schnittwunden an den Fußsohlen will ja keiner.

„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen (Psalm 18,30)“, erzähle ich den Konfirmanden oben auf der Deichkrone. Einer meiner Lieblingssätze aus der Bibel. „Wo ist denn hier eine Mauer?“, fragt ein schlagfertiger Konfirmand. „Viele“, sage ich, „jeden Schritt tiefer auf der Treppe ins Watt werden sie höher.“ Und das bewahrheitet sich. Je näher wir dem Watt kommen, umso sichtbarer werden die Mauern. „Das ist glitschig.“. „Das ist ekelig.“ „Da sollen wir rein?“

Die ersten Schritte. Weich und tief geht es. Schlickwatt in seiner schönsten wasserweichen Form. Graubraun in allen Schattierungen. Wie weicher Pudding. Um mal einen angenehmen Vergleich zu nennen. Die unangenehmeren denkt man sich wohl gleichzeitig mit. Schritt um Schritt.

Es quillt. Und schmatzt. Und matscht. Und glitscht. Und saugt. An Springen denkt hier keiner mehr. Jetzt zählt vor allem eines: nur nicht fallen. Immer schön Gleichgewicht halten. Auch wenn der Fuß tiefer sinkt als einem lieb ist.

Weit hinaus gehen wir. Viel weiter als die Wattwandergruppen. Ihr kleiner Halbbogen ist ja nur ein Katzensprung. Auf unserer Wanderung erzähle ich von Mond und Erde, von der Küstenseeschwalbe und der Qualle. Doch das ist vielleicht gar nicht so interessant. Viel interessanter ist das Watt selbst. Wie es sich anfühlt, wie es riecht, wie weich und glatt es ist und was man damit alles machen kann. Und könnte. Zunächst einmal schreiben wir unsere Namen. Mit den Fußsohlen in den Grund. Kurze Namen. Lange Namen. Zuletzt ein Sprung aus dem Namen heraus, damit der Name schön alleine steht. Foto des Wattnamens. Nach und nach entfaltet dieser größte Spielkasten der Natur seine Reize. Was kann man noch alles machen? Sich Kleider malen. Auf die Haut. Ton in Ton. Braun und schwarz. Oder wie ein Tier im Watt gehen. Auf allen vieren. Die anderen mit ein paar Spritzer überraschen. „Vorsicht, die Augen!“ Kissenschlachten hat man auch schon mal erlebt. Naja, zur Wattschlacht ist es nicht geworden. Ist vielleicht auch besser so. Aber hineinliegen ins Watt, das geht schon mal. Welche Seite zuerst? Vorderseite oder Rückseite? Beides macht Freude. Auch den Schmetterling mit Armen und Beinen malen. So wie im Schnee. Nicht jeder traut sich das. Und irgendwann kommt die Flut und schenkt uns allen einen Vorwaschgang. Ganz warm ist an diesem von der Sonne aufgewärmten Tag das Wasser. Wie eine Badewanne. Über Mauern sind in diesen zwei Stunden alle gesprungen. Irgendwie schon. Und die Schlussfotos könnten nicht schöner sein. Strahlende Augen. Allerbeste Werbebilder für: Ostfriesische Sommerferienfreuden. Oder: zwei Stunden ohne Handy. Oder auch für die Bibel: mit meinem Gott kann ich über Mauern springen. Das gilt, ob im Watt oder zwischen Menschen. Ob freiwillig oder auferlegt. Und das Watt: so ein bisschen Matsch kann jeder ab.

Jörg Schmid, Pastor Ev.-ref. Kirche Aurich und Krankenhausseelsorge UEK Aurich