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8. August 2021 Israelsonntag

Ich stehe vor dem Tor des jüdischen Friedhofs in Aurich. Hinter mir rauscht der Verkehr der Emdener Straße, vor mir ist der von der Hecke umgebene Bereich seltsam still. Den Schlüssel zum Tor musste ich mir extra abholen. Am Tor weißt mich ein Schild auf die Besonderheiten des Friedhofs hin. Im 18. Jahrhundert, vor über 250 Jahren wurde hier der erste Mensch bestattet. Sein Grab existiert immer noch. Für Juden ist der Friedhof ein „beth olam“, ein ewiges Haus, die Gräber erinnern ewig an die Toten und werden nicht nach einer Ruhezeit aufgelöst. Ich betrete das Gelände. Es gibt hier keine Wege auf denen man stehen und gehen könnte, das Gras ist hoch, die Umrandungen der Gräber sind schwer zu erkennen, sie sind von Gras und Efeu überwuchert, nur die Grabsteine sind frei. Wie soll ich mich verhalten? Ich fühle mich wie auf fremder Erde. So als sei ich nicht mehr in Aurich, sondern in einem ganz anderen Land, in dem ich die Sitten und Gebräuche nicht gut kenne. Ich habe Sorge an diesem Ort der Erinnerung etwas falsch zu machen.

Erinnern ist wichtig. Darum feiern wir im Kirchenjahr den Israelsonntag, dieses Jahr am 08.08.. Da bedenken wir das Verhältnis von uns Christen zum Volk Israel, zum jüdischen Volk. Die Geschichte Gottes mit den Menschen beginnt ja nicht erst mit Jesus Christus.

Langsam gehe ich durch das hohe Gras an den Grabsteinen vorbei. Manche sind sehr alt. Ich kann ihre Inschrift nicht mehr entziffern. An vielen Namen gehe ich vorüber. Die Menschen hießen Röschen, Josef und Walter. Auf allen Grabsteinen finden sich hebräische Inschriften, manchmal liegt ein Stein auf einem der Grabsteine. Die meisten Gräber sind alt. Sie sind Zeugnis von einem lebendigen jüdischen Leben in Aurich und Umgebung. Ich bemerke Bibelzitate auf den Grabsteinen. Es sind Worte des Gebets aus Psalm 116: Sei nun wieder zufrieden, meine Seele; denn der HERR tut dir Gutes. Denn du hast meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.

In den Worten der Psalmen finden wir Trost, Dank und Hoffnung. Egal ob Jude oder Christin, die Psalmen tun vielen Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen gut. Sei nun wieder zufrieden meine Seele, denn der Herr tut dir Gutes. Gott tut uns Menschen Gutes. Er hat versprochen bei uns zu sein. Eine Gemeinsamkeit, die wir am Israelsonntag bedenken. Ich verlasse den jüdischen Friedhof. Sorgfältig schieße ich das Tor hinter mir ab. Der Besuch hat mich bereichert.

Ich bin in eine andere Welt mitten in Aurich eingetaucht. Aber ich habe auch viele Gemeinsamkeiten gefunden. Und ich habe wieder neu über das Verhältnis von Juden und Christen nachgedacht. Nicht abstrakt anhand von Zeitungsmeldungen und meinem Wissen aus der Geschichte, sondern praktisch am Grab von Menschen, die wie ich in Aurich gewohnt haben.

Von Antje Wachtmann, Pastorin Kirche im Tourismus