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31. Juli 2021: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“

Ausgerechnet diese beiden berühmtesten Sätze hat Luther vor dem Reichstag in Worms nicht wirklich gesagt. So wie das berühmte Zitat mit dem Apfelbäumchen auch nicht von ihm stammt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Luther ging es um die Botschaft von der Gnade und Vergebung Gottes. Von da aus kritisierte er kirchliche Missstände wie den Ablasshandel und den Machtmissbrauch in der Kirche. Nun wollte Luther Gehör finden, dieses Thema ernsthaft zu erörtern und zu diskutieren. Aber es kam ganz anders. Für den Kaiser und die meisten Reichsstände war die „Sache Luther“ nur eine ärgerliche Nebensache. Luther war ein Querulant, den man ruhigstellen musste. Am 17. April 1521 wurde Luther in den Saal geleitet, wo der Kaiser mit den Spitzen des Reiches tagte. Auf einem Tisch waren mehrere Bücher Luthers ausgelegt. Luther wurde nur gefragt, ob dies seine Bücher seien und ob er bereit sei, sie zu widerrufen. Mehr nicht. Luther war enttäuscht und verunsichert. Er erbat sich einen Tag Bedenkzeit.

Am folgenden Tag hatte Luther zu später Stunde seinen zweiten Auftritt vor dem Reichstag. Wieder ging seine Aufforderung zur Diskussion ins Leere. Er wurde nur aufgefordert, zu widerrufen. Erstaunlich ist die Antwort, die Luther nun gibt. Er erklärt, warum er sich nicht verbiegen kann: Zuerst geht es um die Bibel. Luther will Argumente hören, die aus dem christlichen Glauben heraus überlegt sind. Das zweite ist die Vernunft, er will eine sachliche und seriöse Auseinandersetzung. Und das dritte ist sein Gewissen, an das er sich gebunden weiß. Auf keiner dieser Ebenen kann ihm ein Gesprächspartner gute, christlich fundierte und durchdachte Argumente bringen. Und darum kann Luther seine Position nicht widerrufen.

Wie die Geschichte weitergeht, wissen viele: Auf dem Rückweg aus Worms wird Luther durch einen inszenierten Überfall auf die Wartburg in Sicherheit gebracht. Dort übersetzt er das Neue Testament und kehrt später nach Wittenberg zurück. Von dort aus setzt er mit seinen Mitarbeitern die Reformation fort, heiratet später seine Katharina, gründet mit ihr eine Familie und wird noch viele Bücher schreiben und Predigten halten.

Ein Happy End? Leider nicht nur. Denn für die Menschen, die so entschieden und unbeirrbar ihren Weg gehen, gibt es eine Versuchung. Sie kommen dann auf die Idee, dass sie immer Recht haben und dass Gott auf ihrer Seite ist. Das hilft ihnen, große Dinge zu bewegen. Aber sie verlernen, auf andere zu hören, Kritik anzunehmen und von anderen etwas anzunehmen. Und sie können bitter werden. Das war bei Luther leider so. Viele seiner späteren Schriften sind von Hass geprägt gegen Christen anderer Glaubensrichtungen, gegen theologische Gegner und besonders hart und aggressiv gegen Juden. Die Freiheit, das Recht auf den eigenen Glauben und die Berufung auf das Gewissen hat Luther später anderen nicht zugestanden.

Mich erinnern die Ereignisse in Worms daran, wie gut es ist, wenn wir mutig auftreten und widersprechen. Wenn wir uns nicht einschüchtern und kleinmachen lassen. Aber Gott schenke uns auch in aller Entschiedenheit die nötige Bescheidenheit.
Gott öffne uns die Einsicht in die eigene Begrenztheit und Fehlerhaftigkeit. So können wir erst recht für andere ein Segen sein. Das wird auch deutlich in dem weiteren überlieferten kurzen Satz, den Luther wirklich auf dem Wormser Reichstag gesagt hat: „Gott helfe mir.“

Von Andreas Scheepker, Schulpastor am Gymnasium Ulricianum