„Manchmal da bin ich so müd und zerschlagen, ein flaues Gefühl zerbeißt mir den Magen.“ So beginnt ein Lied meiner Jugend. Ob sich das Volk Israel auch so gefühlt hat, damals in der babylonischen Gefangenschaft? Leben im Exil, unter unmenschlichen Bedingungen, seit Generationen, und kein Ende in Sicht. Das Licht der Hoffnung nur noch ein glimmender Docht. Das Rückgrat des Widerstandes gegen alle Ungerechtigkeiten längst nur noch ein geknicktes Rohr im sturmgebeutelten Weizenfeld. Komische Bilder? Der Prophet Jesaja benutzt sie, um das leidende Volk zu trösten. Der glimmende Docht einer Kerze, vor dem Verlöschen kaum zu retten. Das geknickte Rohr. Nicht mehr zu gebrauchen. Wer kennt sie nicht, diese Gedanken: „Ich kann nicht mehr. Ich halte das nicht mehr aus. Jemand muss doch etwas tun.“ Ich denke an Menschen in der Pflege, die schon so lange permanent über ihre Grenzen gehen. Ich denke an Menschen, die gerade ihre Hoffnung in die Demokratie begraben, weil sie nicht erleben, dass Politiker:innen aus ihren Fehlern lernen. Ich denke an Menschen, die in ihrer Angst sich in den Labyrinthen kruder Verschwörungstheorien verirren. Lauter geknickte Rohre – und es gibt so viel mehr davon auf dieser Welt. „Zeig mir das Schattenland, dort ist ein Teil meines Lebens verbannt“, geht das Lied weiter. Und meint damit: Blende die dunklen Seiten in deinem Leben nicht aus. Sonst reißen Angst und Zweifel dir den Boden unter den Füßen weg. Geh hinein in die Schatten deines Lebens – und erfahre, dass vielleicht gerade dort die Erlösung wartet. Beziehungsweise: der Erlöser.
Ein „Gottesknecht“ wird kommen, sagt Jesaja, der den glimmenden Docht nicht auslöschen wird, noch das geknickte Rohr achtlos zerbricht (Jesaja 42, 3). Das ist nicht einer, der nochmal nachtritt, wenn du schon am Boden liegst, der Menschen in nutzlos oder wertvoll einteilt. Stattdessen will er die Menschen aus Zwang, Friedlosigkeit und Ungerechtigkeit befreien. Und dafür hat er von Gott ein Versprechen erhalten: „Ich nehme dich an die Hand und beschütze dich (Jesaja 43,6). Wer aber ist dieser „Gottesknecht“? Jesus Christus. Und im Grunde alle, die sich in den Dienst Gottes für das Wohl der Menschen rufen lassen.
So gilt es uns heute wie dem Volk in der babylonischen Gefangenschaft damals gleichermaßen doppelt: vertraue auf den, der den glimmenden Docht nicht auslöscht; sei selbst jemand, der das geknickte Rohr nicht bricht.
In diesem Sinne: lassen Sie sich an die Hand nehmen!
Torsten Hoffmann, Diakon im Kirchenkreis Aurich