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5. Juni 2021: Eine gerechte Sprache

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.

(Jesaja 43, 1)

Wie darf ich Sie anreden? Geht das so einfach – mit dem Namen anreden? Das fängt doch schon  Frage an: Du oder Sie? Vorname oder Nachname? Ein Name setzt eine Beziehung voraus, erschafft Kontakt, baut Nähe auf. Das Hochdeutsche ist eine förmliche Sprache, sie beginnt mit dem „Sie“. Das Plattdeutsche hingegen ist eine persönliche Sprache und verwendet zunächst das „Du“. Auch im Englischen gibt es eigentlich nur das „Du“. – Sprache überwindet Distanz. Sie eröffnet Kommunikation, beginnt einen Austausch. Hallo Du, ich will etwas mit Dir zutun haben. Geht natürlich auch mit „Sie“, ist aber viel zu distanziert und weckt beim Gegenüber eher zwiespältige Gefühle. Als wenn jemand durch die Maske zu mir spricht. Meint der oder die das wirklich ernst? Bin ich gemeint?

Neuerdings wird viel Wert auf die sogenannte „gendergerechte“ Ansprache oder Anrede gelegt. Also die Zufügung der weiblichen Anrede an die Männliche: Zeitungsleser*innen. Total „in“ ist es, wenn in der Sprache eine kurze, fast gutturale Pause entsteht. Dann höre ich mehr und mehr: Menschenärgern sich und verlangen ein Verbot dieses „gendergerechten“ Schreibens vor allem bei Behörden und Ämtern. Deren Briefe und Texte würden unlesbar; Sätze würden zu Ungetümen. Die Rede- und Schreibform „Lehrer“ sei geschlechtsneutral und umfasse sowohl Lehrerinnen und Lehrer. Umfragen bestätigen: Die Mehrheit der Geschlechter lehnt – getrennt gefragt – diese „gerechte“ Sprache ab. Wie schön formuliert hier der Prophet: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Kein großes Hin und Her, keine gestelzte Sprache: Du bist gemeint, Du persönlich, mit Dir trete ich in Kontakt. Dabei gehört es zur Wahrheit der Kirchengeschichte, dass Frauen vielfach unterdrückt und – von Männern – des Unglaubens bezichtigt wurden.

Eine geschlechtergerechte Sprache kann das heute nicht wiedergutmachen. Dennoch ist sie nötig, wo immer es geht. Eine möglichst gerechte Sprache drückt unsere Achtung aus vor Menschen und darf niemanden vereinnahmen. Achtsamkeit gegenüber Empfindungen von Menschen ist ein wertvoller Teil kirchlichen und gemeindlichen Denkens und Arbeitens. Darum mühen wir uns um eine gerechte Sprache – möglichst von Herzen. Was von Herzen kommt, geht auch zu Herzen. Genau darum geht es: Unser Gott sucht den herzlichen Kontakt zu uns, in Herzenssprache ohne Hassworte, ohne Gender-Korrektheit, ohne Ablehnung von Fremden, mit Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft.

Von Pastor Michael Schlieker, Beauftragter für Notfallseelsorge