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9. Januar 2021: Vergebung finden

„Nun?” sagt der Vater, als der Sohn aus der Kirche kommt – „Worüber hat der Pastor gesprochen?” „Über die Sünde!” – „Und? Was hat er gesagt?” „Er war dagegen!” Vielleicht haben Sie diese witzige Anekdote schon einmal gehört. Mehr gibt es scheinbar nicht zu sagen. Wir verstehen. Der Pastor redet über die Sünde; und was sagt er? Natürlich, er ist dagegen, was denn sonst? Denn so ist die Botschaft von Kirche: Sünde soll nicht sein. Der Mensch soll lieben, er soll sich moralisch verhalten, die Zehn Gebote beachten und Frieden stiften. Und das stimmt ja auch. Und doch bekomme ich bei dieser Charakterisierung von Kirche immer eine Gänsehaut. Das ist Kirche als institutionalisierte Moralapostelin!

In diesen Tagen wird viel über den richtigen Weg in der Corona-Pandemie diskutiert. Ich habe großen Respekt vor den Entscheidungen der Politiker. Ob alle richtig sind, wissen wir nicht. Aber es gehören jedenfalls Mut und Vertrauen dazu. Und auch die Einsicht in etwaige Fehler.

Ich wünsche mir auch eine Kirche, der es gelingt, mutig Entscheidungen zu treffen und auch, eigene Fehler zuzugeben, zu sagen, dass wir auch als Kirche Vergebung suchen, uns verändern können und glauben: das Alte hat keine Macht mehr über uns! Und ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der es möglich ist, Fehler auch öffentlich einzugestehen, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich dadurch selber für die Zukunft zu disqualifizieren. Wer seine Schuld bekennt, wer um Vergebung bittet und wer glaubwürdig sein Leben verändert hat, der darf doch gerade in einer vom christlichen Abendland geprägten (politischen) Kultur darauf hoffen, dass seine Veränderung ernstgenommen und anerkannt wird.

Der christliche Glaube ist nicht weltfremd und nur für witziger Anekdoten gut. Jesus zeigt den Weg zum Leben, und der führt in keiner menschlichen Gemeinschaft an Schuldbekenntnis und Vergebung vorbei. Und eine politische Kultur, die voraussetzt, dass Politiker/innen keine Fehler machen und ohne Sünde sind, hat nichts verstanden und hat es bitter nötig, dass sie sich Zeit nimmt für eine Neuorientierung. Wie wär’s am Anfang dieses Neuen Jahres?

Von Claus Dreier, Pastor im Ev.-luth. Kirchenkreis Aurich