Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Das spricht Gott nach dem Propheten Jesaja seinem Volk Israel zu.
Ich glaube, es war 1987. Ich war nicht zum ersten Mal mit einer Gruppe Junger Erwachsener für eine Woche in Taizé, der Bruderschaft in Frankreich, die seit den 1970ern junge Menschen aus aller Welt einlädt, dort eine Zeit miteinander mit Gesprächen, Bibelarbeiten, Gottesdiensten (drei am Tag!), Singen und vielen Begegnungen zu verbringen. Fürchte dich nicht. Der Vers aus dem Buch Jesaja war Grundlage einer Bibelarbeit und hat mich seitdem nicht mehr losgelassen.

Nun ist es der Bibelvers, der über der kommenden Woche steht. „Fürchte dich nicht; ich habe dich erlöst; hab‘ dich bei deinem Namen gerufen; denn du gehörst zu mir, ich liebe dich.“ So wurde daraus der Refrain eines kleinen Liedes. Eine Zeile der dritten Strophe fällt mir wieder ein, nicht nur weil das Adjektiv mit dem Nachnamen eines guten Freundes verbunden ist und er sozusagen der Ideengeber dieser Zeile war, sondern weil ich gerade oft darüber nachdenke, warum so wenig Aufschrei durchs Land geht.
„Langsam weichen stumpfe Gefühle“ heißt es dort. Und ja, ich fürchte, nicht wenige Menschen, und ich gehöre dazu, stumpfen zunehmend ab, ob der nicht enden wollenden Fake-News, der schrägen Ideen mehr oder weniger bekannter Verschwörungstheoretiker:innen oder der abstrusen Forderungen nicht nur rechtskonservativer Politiker:innen. Sehenden Auges rennen wir in die Klimakatastrophe und womöglich weitere Kriege und niemand stört sich daran. „Wird schon nicht so schlimm werden.“ Ist es Bequemlichkeit oder sogar Angst, dass das Gemüt mit Abstumpfung reagiert? Dabei ließe es sich nicht nur dem damaligen Volk Israel sagen: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; du gehörst zu mir, deinem Gott. Es gilt jedem Menschen, heute und in aller Zeit: Aus Furcht zu handeln, oder aus Furcht den Kopf in den Sand zu stecken, ist unnötig und nicht zielführend. Wer auf Gottes Liebe zu den Menschen schaut, und zwar zu allen (!) Menschen, kann nicht anders, als aus und mit eben dieser Liebe zu handeln. Also: Fürchte dich nicht; Gott hat dich erlöst, hat dich bei deinem Namen gerufen; du gehörst zu Gott!
Torsten Hoffmann, Diakon im Kirchenkreis Aurich