Desktop

Tablet / Mobil

Desktop

Tablet / Mobil

15.04.2022 Und wir schauen zu.

Im Jahre 30

Da haben sie doch tatsächlich einen wehrlosen Mann getötet. Heute. Keiner schritt ein. Es war allen so, als ob sie machtlos wären. Standen stumm dabei. Schauten. Gruselten sich. Empörten sich. Schwiegen. Fanden es gut und gerechtfertigt. Von allem war was dabei. Von – bis. Bei den Hammerschlägen lief es kalt den Rücken runter. Dreimal. Also: an drei Körperstellen. Waren es auch drei Hammerschläge? Hinschauen wollte keiner. Und genau hingehört hat man auch lieber nicht. Aber es waren doch wohl drei mal drei? Furchtbare Schmerzen werden es gewesen sein. Und dann: warten. Warten, was passiert. Ein Vogel singt. Oder klagt er? Ein Stab mit Essig wird gereicht. Wie soll das denn den Durst löschen? Am Ende ein Schrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Und keine Antwort. Es war eine furchtbare Stille. Erst später begann man zu deuten. Verstanden hat es bis heute keiner. Karfreitag. 

Im Jahre 2022

Da haben sie doch tatsächlich ein ganzes Volk angegriffen. Seit mehreren Wochen. Viele versuchen einzuschreiten. Verhandeln. Mahnen. Drohen. Sanktionen. Gelder einfrieren. Yachten festsetzen. Diplomaten ausweisen. Beten. Singen. Kerzen anzünden. Spenden geben. Demonstrieren. Sich fürchten vor einer Eskalation. Und: Menschen aufnehmen. Manchmal sogar Wand an Wand. Und gleichzeitig: oft können wir nur zuschauen. Uns empören. Es entsetzt uns. Es gruselt uns. Hinschauen müssen wir – und bringen es doch kaum übers Herz. Es ist so trostlos und so hinterhältig. So sinnlos und brutal. Wie viele Schüsse sind schon gefallen? Wie viele Häuser zerstört mit Bomben? Wie viele Menschen auf offener Straße wehrlos erschossen? Wie viele Soldaten auf beiden Seiten gefallen, in den jungen Jahren ihres Lebens? In einer Zeit, in der eigentlich Kartoffeln für den Sommer gepflanzt werden. Und Gemüse und Blumen in den Gärtchen und Äckerchen. Keine Antwort auf unsere Fragen. Eine furchtbare Stille. Und ein verbranntes, zerkämpftes, zerstörtes Land. Von den Menschen und den Familien ganz zu schweigen. Verstehen kann es bis heute keiner. Krieg.

„Gib Frieden, Herr gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf. Recht wird durch Macht entschieden, wer lügt, liegt obenauf. Das Unrecht geht im Schwange, wer stark ist, der gewinnt. Wir rufen Herr wie lange? Hilf uns, die friedlos sind.“ (EG 430,1)

Pastor Jörg Schmid, Ev.-ref. Kirche Aurich und Krankenhausseelsorger UEK Aurich